schwäbische zeitung, Friedrichdshafen

Stuttgart hat im Kiesel im k42 „Der Friedhof oder das Lumpenpack von San Cristóbal“ gezeigt. Die Koproduktion mit dem Festival
Blickwechsel/Puppentheater Magdeburg, dem „FITZ!“-Zentrum für Figurentheater Stuttgart und dem Théâtre Octobre Brüssel entstand anlässlich des Welttages der Migranten und Flüchtlinge. Ein feinfühliges, humorvolles und doch tiefgründiges Stück über Flucht, Heimat und die Angst vor dem Fremden.

Auf dem Friedhof in San Cristóbal ist die Hölle los. Dort sind Menschen eingezogen. Menschen, die aus ihrer trostlosen, verarmten Heimat geflohen sind und in den prächtigen, trockenen und großen Grabmalen und Mausoleen des Friedhofs ihre Zukunft aufbauen wollen. Einen Friedhof haben sie sich ausgesucht, ein Ort, auf dem schon dem Namen nach Frieden herrscht. Sicherlich fühlen sich die Toten zu Anfang gestört, aber bereits nach kurzer Zeit empfinden sie die Ankömmlinge als Bereicherung, und auch in der Bevölkerung gibt es Stimmen, die für die Fremden sprechen, bauen sie doch unvergleichlich leckere Tomaten auf dem Todesacker Gottes an, die sich mit Profit verkaufen lassen. Außerdem schweißt es einen zusammen, wenn man sich in einer Art Bürgerwehr des Nachts zum Kaffeetrinken trifft, um zu beobachten, was die Neuen da so anstellen. Der Friedhofswächter duldet das Treiben, auch wenn er es „sofort gemeldet hat. Gleich am nächsten Tag oder vielleicht zwei, drei Tage später“, dass der Friedhof jetzt bevölkert ist. Aber es werden auch andere Stimmen laut, diejenigen die „das Lumpenpack“ verweisen wollen, die Fremden als Störer der Totenruhe bezeichnen. Für die Geflüchteten bietet sich hier die Chance, eine neue Zukunft aufzubauen. Sie leben, streiten und lieben einander.

Die Geflüchteten sind ein bunter Haufen Stoffpuppen, die Akteure die vier Schauspieler Sigrun Kilger, Annette Scheibler, Daniel Kartmann und Sascha Bufe. Die Spielweise wechselt dabei vom Puppenspiel auf beweglichen Tischen in die Erzählung oder auch ins Schauspiel. Der szenische Schlagabtausch beleuchtet die Situationen aus unterschiedlichen Perspektiven. Die der Toten beispielsweise, die sich zunächst gestört fühlen, aber bald schon das pralle Leben oberhalb der Erde genießen, oder die des Friedhofwärters, der sich nach außen pflichtbewusst und hart gibt, aber in Wirklichkeit ein Herz aus Karamell hat, das bei so viel menschlicher Wärme dahinschmilzt. Zynisch wird es, wenn die Kunstkennerin sich über die gespannten Wäscheleinen beklagt, so ganz ohne „künstlerisches Konzept“ oder wenn die Soziologin bei ihren Befragungen die Antworten subjektiv ändert, um die „Objektivität zu bewahren“.

Es ist ein berührendes Stück, das die Ängste und Hoffnungen der Geflüchteten einerseits und die gleichen Gefühle der Bevölkerung andererseits überzeichnet und mit viel Humor darstellt. Dem Regisseur ist ein kleines Meisterstück gelungen. Die Gratwanderung zwischen dem ernsten Hintergrund einer Flucht, der Chance auf ein neues Leben und den Ängsten der Bevölkerung gespickt mit rührenden, fast schon poetischen und witzigen Szenen zeichnet ein Bild, das man auf die Flüchtlingsdiskussionen übertragen könnte. Das einzig Bittere ist das Ende: denn zuguterletzt siegt die Bürokratie und die Geflüchteten werden in einen Karton verfrachtet, mit dem sie hinter die Bühne, ins Nirgendwo, abgeschoben werden.