ein bitterböses Märchen nach Hans Fallada

Märchen“ (mhd. ‘Maere’) bedeutet seltsame Erzählung. Also Geschichten, in denen unwahrscheinliche Dinge geschehen, Tiere sprechen, Ort- und Zeitangaben sehr ungenau sind und es klare Gegensätze gibt: Arm-Reich, Schwarz-Weiß. Wer böse ist, ist wirklich böse. Und wer gut ist, muss aufpassen, dass er oder sie gut bleibt. Aber wenn das Böse am Ende verschwindet, verschwindet es auf Nimmerwiedersehen. Eine beruhigende Vorstellung!

Gemeinsam mit einem virtuosen, aber undurchsichtigen Musikautomaten, der die ganze Bandbreite der emotionalen Gefühlspalette aufspielen kann, erzählen zwei unzeitgemäße Damen mit Erzähllust, bissigem Humor, Mitgefühl und scharfem Verstand die düstere Parabel, die Hans Fallada 1938 geschrieben hat. Sie nehmen sich der armen Waisen Anna-Barbara an, die sich beim eigenartigen, ausgezehrten Hans Geiz verdingt, um von ihm den Goldenen Taler als Lohn zu erhalten und dafür bereit ist, sich unter der Erde in einem dunklen Loch einkerkern zu lassen, um Unmengen von schmutzigen Geldstücken zu polieren. Das geht nur, indem sie ein aus der Not geborenes Zweckbündnis mit einem cholerischen Putzmännlein eingeht – das aber auch seine Bedingungen stellt. Ziehen Sie sich also warm an! Es ist keine heitere Kinderwelt, wir tauchen ab in die dunklen Abgründe der menschlichen Psyche und befassen uns mit der drängenden Frage, ob unser Schicksal vorbestimmt ist, oder ob es sich lohnt, sich den dunklen Mächten, die scheinbar alle Fäden unseres Glücks in den Händen halten, frech entgegen zu treten und zu sagen: Ich ändere ab heute die Spielregel! Denn erst als Anna-Barbara durchschaut, dass ihr Arbeitsgeber mit gezinkten Karten spielt, seine Versprechungen falsch sind und fatale Konsequenzen haben, kann sie eine freie Entscheidung treffen – für etwas, das erstmal keinen Vorteil verspricht – für ein universelles Prinzip…

Eine Produktion des Ensemble Materialtheater Stuttgart in Kooperation  mit dem FITZ Theater animierter Formen Stuttgart und dem Théâtre Octobre Brüssel. Gefördert vom Kulturamt der Stadt Stuttgart und dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg.

Presse:

StZ Stuttgart: „Der goldene Taler“ von Adrienne Braun 13.10.2025

Auch die Guten wollen immer nur Geld, Geld, Geld

Sigrun Kilger und Annette Scheibler sind die originellsten Figurenspielerinnen Stuttgarts. Das neue Stück von ihnen im Stuttgarter Theater Fitz ist sehr böse – und sehenswert.

Es lässt sich an so vielen Stellen sparen. Man könnte zum Beispiel weniger atmen, damit sich die Lunge nicht so stark abnutzt. Wer langsamer geht, verbraucht weniger Kalorien. Und isst man nur noch das Nötigste, hat man auch hier sauber rausgespart. Dieser Hans Geiz weiß, wie man knausert, und könnte es im wahren Leben vermutlich sehr weit bringen. Aber auch auf der Bühne des Fitz kann man sehen, dass ihm sein Geiz viel eingebracht hat, sogar eine Dienstmagd. Die muss für ihn die Taler putzen und polieren.

Im Märchen geschehen seltsame Dinge

Es ist ein bitterböses Märchen, das die Figurenspielerinnen Sigrun Kilger und Annette Scheibler in ihrem neuen Stück „Der goldene Taler“ erzählen. Ursprünglich stammt es von Hans Fallada und wurde erst vor ein paar Jahren wieder verfilmt. Die Variante im Fitz ist dagegen nicht kindertauglich, auch wenn hier aufs Schönste mit der Dingwelt gespielt wird und sich die Erzählebenen raffiniert mischen – zu den beiden Schauspielerinnen und den Puppen kommen allerhand Objekte, die die Geschichte mittragen, seien es wandernde Flaschen oder fliegende Zeitungen. Ein Märchen, erklären die beiden erst einmal, sei eine Erzählung, in der merkwürdige Dinge passieren und jemandem „ein Problem vor den Latz geknallt“ wird. Und das ist hier die kleine Anna-Barbara, die weder Vater noch Mutter hat und sich nach dem Tod der Großmutter allein auf den Weg macht. Der führt die kleine Puppe mit bleichem Gesicht und großen Augen direkt hinein in die Unterwelt von Hans Geiz, wo nur Glühwürmchen den Weg weisen und sich angeblich Matratzen stapeln, auf denen es sich faule Menschen einst bequem machten. Im Schuldenbuch hat Hans Geiz auch seitenweise faule Kredite verzeichnet.

Es geht hier um Gier

Es geht also um die Gier – aber auch um die Lust an fantasievollem Theater, bei dem Kilger und Scheibler mit lustigen Tricks und Doppelbödigkeiten aufwarten und handgemachten Bühnenzauber zeigen, dessen Geheimnis die beiden mit ironischem Augenzwinkern zu erkennen geben. Sie warten mit vielen schönen Ideen auf. So agieren die beiden hervorragenden Musiker (Birgit Maier-Dermann und Andreas Grossmann) in dieser Produktion als Spielautomat, in den man erst einmal eine Münze werfen muss – Geld regiert eben auch hier die Welt. Zum Märchen, hatten die beiden in ihrer Definition noch erklärt, gehöre „moralische Klarheit“, die hier allerdings ziemlich trübe wirkt. Denn das Mädchen hat zwar gelernt, dass Freundschaft und Liebe allemal wertvoller sind als Besitz. Den goldenen Taler aber will sie freilich trotzdem bekommen, denn nicht nur in einer kapitalistischen Welt, sondern auch im Märchen gilt: Am Golde hängt, nach Golde drängt doch alles. Weitere Vorstellungen im Theater Fitz unterm Tagblattturm im Frühjahr