Pressestimmen

Der blutige Händedruck der Königinnen “Maria Stuart. Ein tödliches Casting” – die zeitlose Geschichte zweier Frauen, im Theater Rampe uraufgeführt
Stuttgarter Zeitung Von Nicole C. Buck

Big Shot, zu deutsch ein großes Tier, steht in riesigen Lettern auf dem Plastikrasen, der die Bühne des Theaters Rampe bedeckt. Und einen Einblick in das Leben zweier ganz großer Tiere gewährt die Uraufführung “Maria Stuart. Ein tödliches Casting”, nämlich in das Elisabeths I. und Maria Stuarts. Doch vom Staub der Geschichte ist bei dieser Inszenierung nichts zu spüren. Schon zu Beginn wird eine absurde Atmosphäre geschaffen, die während der nächsten achtzig Minuten stringent durchgehalten wird.

Da sitzt Elisabeth, Englands Königin des Goldenen Zeitalters, auf einem schäbigen Thron – einer Haltestellenbank – und liest die Financial Times. Ihre Rivalin umkreist sie mit einem Toaster, dessen Inhalt – ein Foto von einer Pistole – sie stolz dem Publikum präsentiert. Dazu ist Renaissancemusik zu hören, die mit elektronischen Sounds unterlegt ist. Aber die Regisseurin Christina Rast hat die Geschichte der rivalisierenden Frauen nicht einfach mit ein paar Details aus dem Heute aufgemotzt, sondern lässt plausibel die zeitlichen Grenzen verschwimmen: Das sehr persönliche Bild, das sie von den beiden konkurrierenden Königinnen zeigt, ist gültig, ob im 16. oder 21. Jahrhundert: zwei Frauen, die ihrer Zeit sehr weit voraus waren.

Da steht auf der einen Seite Elisabeth I., die erfolgreiche, mächtige Businessfrau, die für ihren Job auf Familie und Privatleben verzichtet, auf der anderen Maria Stuart, die zwar politisch scheitert, aber dafür ihre Weiblichkeit in vielen Beziehungen auslebt. Mit vielen lauten und leisen, imposanten und subtilen Bildern arbeitet Christina Rast diesen Konflikt zwischen den zwei kontroversen Frauenbildern heraus. So gebiert etwa Elisabeth die Welt, in Form eines großen, aufblasbaren Globus, Maria Stuart dagegen scheitert bereits an einer kleinen Weltkugel. Dass die beiden Königinnen aufs Blut verfeindet sind, findet in einem Händedruck, bei dem reichlich Theaterblut fließt, passenden Ausdruck.

Johanna Niedermüller als Elisabeth und Sigrun Kilger als Maria Stuart, beide mit einer knallroten Perücke, die Renaissance-Kleider mit Tennissocken und Stutzen kombiniert, füllen die Figuren mit vielerlei psychologischen Nuancen, von majestätischer Überlegenheit bis zur Hysterie, von weiblicher Sinnlichkeit bis zum Größenwahn. Da schreit Elisabeth herrlich selbstherrlich, während sie einen Stepptanz hinlegt: “Alle müssen mein Leben auswendig lernen. Mein Bild muss überall hängen, in Sozialämtern, Freudenhäusern, Frauenhäusern.” Überhaupt ist das Spiel äußerst akzentuiert und pointenreich, Niedermüller und Kilger setzen die Dynamik der Textcollage, die aus der Kombination von aktuellen und klassischen Schriften entsteht, mühelos um.

Der Text wurde während der Proben von Regie und Schauspielern gemeinsam erarbeitet. Für “Maria Stuart. Ein tödliches Casting” wurden unter anderem Zitate von George W. Bush, Margret Thatcher, Osama bin Laden, Schiller, Ionesco und Elfriede Jelinek verwendet, darum ist bereits in der Textgrundlage das Absurde manifestiert. Wenn die Katholikin Maria Stuart, in deren Lebenszeit die Bartholomäusnacht fällt, Bushs Worte “Entweder Sie sind für mich, oder Sie sind gegen Gott” gebraucht, gewinnen die eine noch groteskere Bedeutung. Ebenso Stuarts Abhandlung über das Golfspiel (das übrigens im 15. Jahrhundert in Schottland verboten war). Auch hier kann der Begriff Golfdesaster auf verschiedene Weise verstanden werden.

Das Publikum darf sich auf Theater im ursprünglichen Sinne freuen, in dem das Schauspiel im Vordergrund steht, auf eine ganz eigene und frische Interpretation der Geschichte zweier Königinnen, auf Absurdes, Humorvolles, Lebendiges und Inhaltsvolles.

 

“Maria Stuart. Ein tödliches Casting”: Eine Collage über den Wahnsinn der Macht in der Rampe Unheilige Kommunion mit Toastbrot Stuttgarter Nachrichten vom 21.07.2003

Noch während die Zuschauer ihre Plätze suchen, hat die Aufführung bereits begonnen. Mitten auf der Bühne verschanzt sich eine üppig in Tüll gewandete Gestalt hinter der “Financial Times”. Aus einer Gruft steigt in regelmäßigen Abständen eine Frau, verfolgt von Nebelschwaden. Sie schreitet das Geviert des Raumes ab, um dann wieder in ihrem Grab zu verschwinden.

So beginnt die Uraufführung eines vom Theater Rampe, dem Materialtheater Stuttgart (Tart) und dem Niederösterreichischen Donaufestival koproduzierten Theaterprojekts über den Wahnsinn der Macht. Entwickelt haben es die Schweizer Regisseurin Christina Rast, Figurenspielerin Sigrun Kilger und die Schauspielerin Johanna Niedermüller. Als Folie für ihr groteskes Spiel lassen sie Königin Elizabeth I. von England und ihr Pendant von Schottland, Maria Stuart, wieder auferstehen und legen den beiden eine raffiniert ineinander montierte Textcollage aus Zeitungsnotizen und Originaltönen von Shakespeare, Schiller, Elfriede Jelinek bis hin zu Osama bin Laden und George W. Bush in den Mund.

Thema ist der Anspruch, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein, verbrämt mit religiösem Sendungsbewusstsein. Dahinter stehen massive politische und wirtschaftliche Herrschaftsansprüche. Dafür findet die Inszenierung sinnfällige und bissige Bilder.

Elizabeth I. (Johanna Niedermüller) und Maria Stuart (Sigrun Kilger), nominell Todfeindinnen, werden im Partnerlook feuerroter Haarberge von der Machtgier zu menschlichen Zerrbildern deformiert. Sie konkurrieren um den Thron, vulgo zwei billige Wartezimmer-Stühle. Belauern sich beim gemeinsamen rhythmischen Auf und Ab der Teebeutel in ihren Tassen. Und während Elizabeth, die jungfräuliche Königin, unter Schmerzen eine Weltkugel gebiert, doziert Maria mit fanatischem Blick über die Eigenarten des aus Schottland stammenden Golfspiels als die Welt revolutionierendes Phänomen. Dazu spucken zwei Fernseher bekannte Einfalt aus: Krimi, Sport, News, eingetaucht in Werbung (Bühne und Kostüme: Franziska Rast).

Besonders gelungen ist das Schlussbild: Während sich Elizabeth mit dem Aufschrei “Dies ist mein Leib!” mit Toastbrot vollstopft, schleppt sich Maria, von einem Lichtschlauch gefesselt, zum Golgatha ihrer religiösen Obsessionen. Horst Lohr

 

Zum Trost ein Toast nach dem Todesurteil Esslinger Zeitung 21.07 2003 von Britta Slusar

Stuttgart – Schon Friedrich Schiller war von der Idee begeistert, aus diesem Stoff ein Drama zu machen. “Es hat schon den wesentlichen Vorteil bei sich, dass die Handlung in einen thatvollen Moment concentriert ist und zwischen Furcht und Hoffnung rasch zum Ende eilen muss”, schrieb er 1799 an Goethe. Bei der Niederschrift der “Maria Stuart” hielt sich Schiller eng an die geschichtlichen Quellen, doch gelang es ihm, das Geschehen, das sich in Wirklichkeit über Jahrzehnte hinzog, auf wenige Tage zu konzentrieren. So schuf er ein packendes Drama um zwei starke Frauen, wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten. Verdichtet auf die dramatische Auseinandersetzung weniger Augenblicke kämpfen zwei gealterte Rivalinnen in “Maria Stuart – Ein tödliches Casting” um die Gunst der Zuschauer. Das Stück ist ein Gemeinschaftswerk der Mitwirkenden, im Stuttgarter Theater Rampe wurde die Koproduktion mit dem Stuttgarter Materialtheater TArt und dem Niederösterreichischen Donaufestival jetzt uraufgeführt. Ob am Ende der englische Bastard Elisabeth I. (Johanna Niedermüller) oder die intrigante Märtyrerin Maria Stuart (Sigrun Kilger) als wahre Königin in die Annalen der Geschichte eingehen wird, entscheidet der Publikumsjoker. Denn auf der Suche nach der Super-Königin kann nur eine gewinnen und den Thron besteigen. Auf die andere wartet das Schafott. Doch halt: Ist es nicht mehr als das Trauerspiel um Kabale und Liebe? Ist es nicht ein genialer Schachzug, die eigene Hinrichtung medienwirksam zu inszenieren und als selbsternannte Heilige mit Lichterstrang und weißem Schlüpfer in die “Hall of fame” hinaufzufahren?

Hitzig und witzig Im Bühnenraum der Ausstatterin Franziska Rast liefern sich die Gegnerinnen hitzige, manchmal auch witzige Wortgefechte. Elisabeth residiert inmitten eines Golfplatz-Greens auf ihrem zweisitzigem Thron, der den Warteplatz-Charme einer Behörde hat. Sie blättert in der Financial Times, informiert sich über die Staatsgeschäfte, regt sich über “schottische Gastarbeiter” auf, rollt ihre Stützstrümpfe hinunter, reibt sich die Beine ein, spricht zu ihren Lords. Cousine Maria übersetzt. Da kann es durchaus zu Missverständnissen kommen, und “arms” werden zu “Armen”, wobei Königin Maria mit denselben in der Luft herumfuchtelt. “Am Ende des Stücks bist du tot”, meint Elisabeth. “Aber das weiss ich, das wissen wir alle”, antwortet Maria, die – von höchstem königlichen Geblüt – Anspruch auf den Thron erhebt. “Mein Ende wird der Anfang sein.”                       Regisseurin Christina Rast holt das Beste aus den Schauspielerinnen heraus, die nach fast eineinhalbstündiger Dauer-Bühnenpräsenz vom Applaus des begeisterten Premierenpublikums belohnt werden. Die Regisseurin verwebt das Schicksal der Konkurrentinnen zu menschlichen Einzeltragödien, die wiederum abhängig voneinander sind.

Angst vor dem Sturz Jungfrau Elisabeth scheint mit ihrem herrschaftlichen Sitzmöbel verschmolzen zu sein. Hochnotkomisch gebärt sie einen aufblasbaren Erdball (“er soll der Erde Schatten spenden”). Hysterisch spinnt die einsame Regentin ihre politischen und kulturellen Visionen, will eine Ich-AG gründen und damit an die Börse, will ihr Bildnis an allen Strassen und Plätzen sehen, “denn ich bin im richtigen Ehebett geboren.” Dabei sitzt ihr die Angst vor einem Sturz vom Sockel buchstäblich im Nacken: Maria kreist sie ein und marschiert mal mit einem Toaster, mal mit einem Maschinengewehr oder einer Gitarre um den grünen Golfplatz – womit die Schottin die britische Monarchie bereits untergraben hat. Übrigens soll das Golfspiel in Schottland erfunden worden sein. Golfbälle, die wie nebenbei aus Marias Kleid purzeln, provozieren Elisabeth: “Ich will das Wort nie wieder hören. Golf schadet dem englischen Rasen.” Einen Hauch an Annäherung lassen die beiden gekrönten Häupter beim Zeremoniell des Teetrinkens zu. Ihnen gemeinsam sind nur die roten Haare. Oder ist es doch die Blutsverwandtschaft, durch die sie über den Tod hinaus miteinander verbunden sind? Es sieht beinahe danach aus. Wohl deshalb stopft sich Elisabeth – überzeugend unappetitlich – zum Trost mit amerikanischem Toastbrot selbst den Mund, der drei Minuten und zwanzig Sekunden vorher Marias Todesurteil ausgesprochen hat.

 

Klassiker mit Toastbrot Unidram I: „Maria Stuart“ aus Stuttgart Potsdamer Nachrichten 27.10.2005 Gerold Paul

„Gott save the Queen!“ Britannias Leitspruch schützt den Inselthron seit eh. Auch bei der tödlichen Begegnung zweier Erzrivalinnen, welche Schiller in seinem Trauerspiel „Maria Stuart“ schildert, bedurfte die Krone solchen Beistands, denn die „jungfräuliche Königin“ Elisabeth ließ ihre katholische Konkurrentin Maria 1587 mit Willkür hinrichten. Unter Renaissanceklängen und Theaterdampf entstieg sie nun ihres Grabes, um im T-Werk wenigstens ein Wort der Reue von der Meuchlerin zu haschen. Diese aber fläzte ziemlich ordinär auf ihrem Sitz, die „Financial Times“ studierend, dann eine Parlamentssitzung leitend, deren Hauptperson sie selber war. „Gott save the Queen“, diktierte sie zum Abschluss wie ein Amen, „Gott rasiere die Königin“, dolmetschte Maria dem längst entzündeten Publikum im vollen Hause. Schnodderig, schrill, respektlos gegen überlieferte Geschichte und Bühnengesetz, so prallte die Textcollage „Maria Stuart. Ein tödliches Casting“ bei Unidram auf Schillers Jubeljahr. Das Stuttgarter TART-Theater produzierte sie, doch traute man dem Klassiker offenbar nur so weit, wie er durch Zitate von Jelinek, Ionesco oder Margret Thatcher (angeblich auch von Bin Laden) zu „ergänzen“ war.

Christina Rasts moderne Inszenierung arbeitet voller Lakonie mit Breaks, szenischen Endlos-Wiederholungen, weiten Gängen und ausgestellten Gesten. Sie überliefert den geschichtlichen Stoff durch Parodien, Absurditäten und starken Persiflagen über achtzig Minuten der Lächerlichkeit. Der angeblich „blutige Machtkampf zweier Rivalinnen“ spielt in historischer Kostümierung zur Echtzeit der anglikanischen Elisabeth. Es geht darum, wer „in die Geschichte“ eingeht, doch ist alles vorab schon klar: „Am Ende der Vorstellung werden Sie tot sein“, prophezeit Elisabeth der Auferstandenen. So kam es auch. Zwei Fernseher auf der Off-Bühne zeigen den Londoner Löwen, später immer wieder sportliches Paarspringen vom hohen Turme aus. Sigrun Kilger und Johanna Niedermüller spielen mit Wonne, professionellem Einsatz, Sonnenbrille und Besenfrisur, worum es TART geht: Um nichts, bestenfalls um gute Unterhaltung – jedes Publikum belohnt das. Maria mag keinen Tee, begehrt dafür aber Bockwurst, Elisabeth kümmert sich nicht um Staatsgeschäfte, sondern lechzt in einer an Chaplins Hitler-Parodie erinnernden Szene um Nachruhm: „Ich will die Hostie sein!“ Die eine trägt Kalaschnikow, die andere frisst maßlos Toast in sich hinein, wirft die Reste ins Publikum. Golfregeln statt Politik, Weiberzwist statt tiefer Charaktere, Farce anstelle von Substanz, beliebige Theatermittel – wer seinen Schiller zur Vorstellung mitnahm, hatte tüchtig zu leiden. Schon bei Brecht verkam ja der Königinnen-Streit wegen Unglaubens zum trivialen Gezänk von Fischweibern. Reine Geschmackssache: Maria addierte sich als „Erfinderin der Opferfürsorge“ zur langen Liste weltbekannter Märtyrer hinzu, Elisabeth spreizte auf dem Thron kopfüber Arme und Beine von sich, den Rock weit hochgeschoben. Am Ende entsteigt die Katholikin ihrem Kostüm, um eine Original-Sentenz im Slip zu deklamieren: „Lasst uns still sein, lasst uns nichts mehr empfinden!“ Das war im alles verkehrenden Modeln der Moderne nun etwas spät gesprochen. Aber ein Klassiker hält auch das aus. Stärkster Beifall, klar.